Weihnachtsgeschichte der BiKo: Feenstaub
12.12.2025

Jedes Jahr in der Weihnachtszeit gehe ich durch meine Heimtstadt Luzern.
Ich hoffe dann immer, dass ich den alten Mann vielleicht noch einmal sehe.
...damals war ich 12 Jahre alt. Es war kurz vor Weihnachten. In der Nacht hatte es geschneit. Alles war weiss. In der Stadt war diese besondere Weihnachtsstimmung. Viele Menschen gingen durch die Gassen, obwohl es sehr kalt war. Oben auf dem Pilatus lag viel Schnee. Auf der Kapellbrücke machten Touristen Fotos.
Ich war unterwegs, um Geschenke zu kaufen. Da sah ich plötzlich einen alten Mann. Er sass auf einer Bank vor dem Rathaus. Neben ihm lag Schnee. Er hatte weisses Haar wie Schnee und sass auf einem Stück Karton. Als wir uns ansahen, fielen mir seine Augen auf: Sie waren blau wie eine Bergblume.
Ich fragte mich: Wie kann er bei dieser Kälte draussen sitzen? Sein Mantel sah nicht warm genug aus.
Da hatte ich eine Idee. Ich lief in das Café gegenüber. Ich kaufte Käsekuchen und Pfefferminztee. Ich kaufte die Sachen zweimal: einmal für ihn und einmal für mich. So sah es nicht wie ein Almosen aus.
Ich ging zurück zur Bank und sagte:„Ich hoffe, Sie mögen Käsekuchen und Pfefferminztee.“
Ich stellte alles zwischen uns auf die Bank und setzte mich dazu. Mein Parka hielt mich halbwegs warm.
Der Mann lächelte, nickte und ass ein Stück Kuchen. „Schmeckt gut“, sagte er.
Eine Weile assen und tranken wir einfach still. Der Tee wärmte mich. Mir wurde langsam kalt. Aber der alte Mann wirkte, als spüre er die Kälte gar nicht.
Dann schaute er mich an. Seine Augen waren ganz ruhig. Er sagte: „Danke für deine Freundlichkeit. Ich möchte dir auch etwas schenken.“
Ich dachte: Was kann er mir schon schenken?
Er sagte: „Ich verrate dir ein Geheimnis. Ist dir aufgefallen, dass die Menschen an Weihnachten oft freundlicher sind?“
Ich nickte und erzählte ihm ein Beispiel: „Unser Hausmeister schickt uns sonst immer weg, wenn wir auf dem Rasen spielen. Aber heute hat er uns geholfen, einen riesigen Schneemann zu bauen – sogar auf dem Rasen!“
Der alte Mann musste lachen.
Dann erzählte ich noch etwas: „Unser Lehrer ist sehr streng. Letzte Woche war die Matheprüfung schlecht. Aber er sagte, er streicht diese Note als Weihnachtsgeschenk.“
Der Mann nickte. Dann sagte er ganz leise: „Das macht der Feenstaub.“
Ich schaute ihn verwirrt an. Er erklärte: „Es gibt eine Fee. Ihre Aufgabe ist es, den Menschen das Herz zu öffnen. In der Weihnachtszeit geht sie durch die Stadt und streut Feenstaub. Wer davon getroffen wird, wird weicher und freundlicher.“
Ich wusste nicht, ob ich das glauben soll. Aber er schaute mich ernst an, nicht spöttisch.
Ich sagte: „Dann hat die Fee aber sehr viel zu tun.“
Er nickte. „Ja. Und jeder Mensch, der Feenstaub abbekommt, kann selbst wieder Licht und Freundlichkeit weitergeben.“
Ich wurde etwas traurig und sagte. „Aber nach Weihnachten sind viele wieder wie vorher.“
Ich dachte an unseren Lehrer und an den Hausabwart. Wahrscheinlich würden sie nach Weihnachten wieder streng sein.
Der alte Mann sagte: „Wenn der Feenstaub einen Menschen trifft, kann er nach Weihnachten selbst entscheiden: Er kann freundlich bleiben – oder er kann es wieder vergessen.“
Wir sassen noch eine Weile still da, assen den Kuchen und tranken den Tee. Um uns herum gingen viele Leute vorbei. Aber es fühlte sich an, als wären wir ganz alleine.
Dann nahm ich die Becher und Teller. Ich sagte: „Ich bringe das zurück ins Café und hole noch etwas. Wie wäre es mit Regentröpfli?“ (Das sind feine Luzerner Pralinen.)
Der alte Mann lächelte und nickte. Seine Augen glitzerten.
Ich ging kurz ins Café. Als ich zurückkam, war die Bank leer. Der alte Mann war weg.
Seitdem denke ich in der Weihnachtszeit oft an ihn. Und wenn ich besonders freundliche Menschen sehe, denke ich: Vielleicht haben sie ein bisschen Feenstaub abbekommen.
Autorin: Christine Schneider
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